Weihnachtskonzert der Stadt Ratingen

Hauptsache Harfe
2012 fasste die Stadt Ratingen den Beschluss, ein jährliches
Weihnachtskonzert in der Stadthalle aufzuführen. Der Höseler
Knabenchor unter Leitung von Thoralf Hildebrandt führte das Programm
unter Mitwirkung wechselnder Solisten durch. In diesem Jahr wurde
erstmalig der Konzertchor Ratingen beauftragt, das Konzert gemeinsam
mit der Sinfonietta Ratingen zu gestalten. So sollen auch die übrigen
Klangkörper der Stadt weiter in den Blickpunkt gerückt werden. Eine gute
Entscheidung. Erfreuten sich die vorangegangenen Veranstaltungen
schon großer Beliebtheit, zieht der Wechsel noch mehr Interesse auf sich. Obwohl die Lokalredaktion einer
Tageszeitung darauf hinwies, dass das Weihnachtskonzert im Dumeklemmersaal der Stadthalle stattfinde,
finden an diesem Abend doch annähernd 1.000 Menschen jeden Alters in den Suitbertus-Saal der
Dumeklemmer-Halle. Damit ist die Halle ausverkauft.
Für den Konzertchor und die Sinfonietta, das ist das Orchester, das von Konzert zu Konzert
bedarfsgerecht von Sabine Schneider zusammengestellt wird, ist es ein Heimspiel. Schließlich führt das
Ensemble unter Leitung von Thomas Gabrisch seit einigen Jahren zweimal jährlich in der Stadthalle ein
eigenes Konzert auf. Und trotzdem ist es diesmal ein bisschen anders. Vielleicht liegt es am Publikum, das
jetzt nicht gekommen ist, um interessante Werke der Chorliteratur kennenzulernen, sondern in dem
Besuch den Abschluss der Vorweihnachtshektik sieht und einfach nur entspannen will. Der Konzertchor
hat seine Aufgabe verstanden und versucht, ein abwechslungsreiches Programm zusammenzustellen, das
nicht die üblichen Klischees bedient und trotzdem einer breiten Mehrheit gefallen kann.

Was sich leider nicht herumgesprochen hat, ist, dass die Kulturwelle des
öffentlich-rechtlichen Hörfunksenders seit Wochen die Musik Johannes
Sebastian Bachs rauf- und runterdudelt. Und so wird auch dieses
Konzert mit Bach eröffnet. Immerhin bietet der Eingangschor Jauchzet,
frohlocket! aus dem Weihnachtsoratorium einen kraftvollen Einstieg, mit
dem der inzwischen wieder 80 Mitglieder umfassende Chor seine
Präsenz zeigen kann. Anscheinend gehören die Ratinger nicht zum
Stammpublikum des Senders, so dass sie Freude auch an Auszügen
aus dem Magnificat finden.
Mit Wolfgang Amadeus Mozarts Motette Ave verum corpus aus dem Jahr 1791, die er für einen
befreundeten Kantor in Baden bei Wien verfasste, löst sich der Chor allmählich – zumindest klanglich –
aus den Fesseln der Kirchenmusik und erwärmt das weihnachtlich gestimmte Herz. Aber um das
Überirdische eines Konzerts heraufzubeschwören, bedarf es eines anderen Instruments als Chor und
Orchester, so gut sie auch immer singen und spielen mögen. Das wusste auch Georg Friedrich Händel
schon, der mit seinem Harfenkonzert in B-Dur 1736 eines der unter Harfenisten bis heute beliebtesten
Stücke verfasste. Was auch daran liegen mag, dass es nicht so viele Konzerte bekannter Komponisten für
die Harfe gibt.
Bereits im November vergangenen Jahres hatte Gabrisch seine Tochter Maria Luisa mit einem HarfenSolo
aus Camille Saint-Saëns Oratorio de Noël vorgestellt. Und mit ihrem Spiel das wenig fachkundige
Publikum begeistern können. Im Sommer dieses Jahres legte Maria Luisa den „Fachkundenachweis“ nach:
Im Bundeswettbewerb Jugend musiziert belegte sie den ersten Platz. So ganz trittfest will die 17-Jährige
noch nicht auf die Bühne, aber kaum sitzt sie am Instrument, strahlt sie das Urvertrauen in den Vater und
ihre eigenen Fähigkeiten aus. Hochkonzentriert und auswendig produziert sie serienweise schöne Läufe.
Da wächst ein ganz großes Talent heran, und die Bürger seiner Heimatstadt dürfen es „hautnah“ erleben.
Das ist schon etwas Besonderes. Und hat auch durchaus Weihnachtliches, wenn der Vater seine Tochter
nicht freundlich als Solistin verabschiedet, sondern impulsiv vom Pult steigt und sie in den Arm nimmt.
Nach Denn es ist uns ein Kind geboren und dem passenden Abschluss mit dem Hallelujah aus Händels
Messiah geht es in die Pause.
Ein ausgesprochen glanzvoller Auftakt in
den zweiten Teil gelingt Gabrisch mit Carl
Otto Nicolais Weihnachtsouvertüre über
den Choral Vom Himmel hoch. Auch wenn
dem Komponisten als Verfechter
italienischer Oper eine Abneigung gegen
Richard Wagners Musik nachgesagt wird,
ist diese Ouvertüre dem deutschen
Komponisten ebenbürtig. Und der Dirigent
setzt alles daran, das volle Klangbild
aufleuchten zu lassen. Gabrisch, der sonst
eher unterkühlte, „lässige“ im besten Sinne
musikalische Leiter, legt hier eine Wucht
an den Tag, die das Orchester zum
Äußersten treibt. Hervorragend. Klar, dass
Mendelssohn-Bartholdys Vom Himmel hoch nachgeschoben wird. Ob man an einem solchen Abend, der
so immerhin die Länge von mehr als zweieinhalb Stunden erreicht, die gesamte Nussknacker-Suite
präsentiert, ist diskutabel. Dafür spricht, dass Gabrisch das Orchester zu einer sehr akzentuierten,
mitreißenden Spielweise motiviert, die das Werk wie frisch aus der Taufe gehoben erscheinen lässt – wenn
es denn einen Tschaikowski heute gäbe.
Apropos heute: Auch Zeitgenössisches wird an diesem Abend präsentiert. Allerdings sind John Milford
Rutters Chorgesänge Christmas lullaby, Mary’s lullaby und The Lord bless you and keep you derart süßlich
und parfümiert, dass sie nach dem starken Verlauf des Abends nur noch wie Anhängsel wirken. Mit Tollite
hostias aus dem bereits erwähnten Oratorio de Noël von Camille Saint-Saëns gelingt ein glorioser
Abschluss eines wirklich rundherum gelungenen Abends.
Auch hier schließt der Abend mit einem gemeinschaftlich gesungenen Oh, du Fröhliche, ehe der Abend mit
ausgiebigem Applaus endgültig endet. Sehr entspannt geht es dann nach Hause, dem Heiligen Abend
entgegen.
Michael S. Zerban